9.5.09

Keine Zukunft war Gestern


Das groß promotete Machwerk "Keine Zukunft war Gestern - Punk in Deutschland" der IG Dreck auf Papier ist leider eine kleine Enttäuschung. Was schon die Diskussion um den Umschlag andeutete bewahrheitet sich leider beim Durchblättern: das Layout ist einfach nur bieder. Nicht dass ich eine Adaption von David Carson erwartet hätte, aber ich halte einfach mal als leuchtendes Beispiel Lurker Grands "Hot Love - Swiss Punk&Wave 1979-1980" dagegen, dass sogar den Preis "Die schönsten Schweizer Bücher" gewonnen hat. Allein schon das Spiel mit wechselnder Typographie hätte eine Auflockerung ergeben, ebenso der Verzicht auf ein starres Layout-Raster. Doch leider kommt nichts von der gestalterischen Kreativität der frühen deutschen Fanzine-Kultur rüber in dem Buch, nur was von deutscher Ordnung und Gründlichkeit.


Natürlich schleichen sich bei Büchern über vergangene Zeiten immer Fehler ein, weil oft Augenzeugen nicht erreichbar sind, aber die Tondokumente gibt es doch noch. Wieso werden dann Rotzkotz als deutschsprachig bezeichnet, wo doch die erste LP komplett in englisch gesungen wird? Wo bitte klingen die Salinos mit ihrem Beat-Punk experimentell und elektronisch? Welche Rock-unklassischen Musikinstrumente sind mir seit 30 Jahre bei Hans-a-Plast und Hermann's Orgie entgangen? Und wo bitte ist bei den biederen Stripes ein Einfluss der Buzzcocks herauszuhören? Und wenn Uwe Christiansen erzählt, er hätte 1976 im Londoner Marquee-Club Blondie und die Skids gesehen, so wäre eine höfliche Nachfrage durchaus berechtigt gewesen, denn laut George Gimarcs "Punk Diary 1970-1979" sind Blondie erst im Mai 1977 in London aufgetreten, wohingegen die Skids sich erst 4 Monate später gegründet haben und erstmals im März 1978 in London zu ereleben waren. Nebenbei: das auf S.41 abgebildete Programm des Krawall 2000 stimmt nicht, TBC (und wohl auch Rotzkotz?) sind nicht am 20.7.79 dort aufgetreten, so gut funktioniert meine Erinnerung noch. Ach ja, auf S.38 wird an den Spex-Klon Scritti erinnert, aber wieso bleibt das Vorbild unerwähnt? Wo doch die frühe Spex mehr mit Punk zu tun hatte als alle Scritti-Ausgaben zusammen.


Doch kommen wir zu den Inhalten: Das erste Kapitel hängt merkwürdig im luftleeren Raum, denn an keiner Stelle wird erklärt, warum Punk nach Deutschland kam. Die paar Schülerfahrten nach London können es doch nicht gewesen sein, irgendwo muss es doch einen fruchtbaren Boden dafür in Westdeutschland gegeben haben. Doch statt diesen Humus zu identifizieren wird das ganze gesellschaftliche Klima der damaligen Zeit einfach ausgeblendet. Im zweiten Kapitel wird zwar richtig dargestellt, dass die Punk-Bewegung sich in 2 Flügel aufteilte, nämlich diejenigen, die einen behaupteten Stilkodex verbissen zu verteidigen begannen gegen diejenigen, die sich an keine Regeln halten wollten. Allerdings wird auch hier keine Erklärung dafür angeboten, woher das plötzliche Interesse an Avantgarde/Elektronik/Experimenten statt an reinem (arischen?) Punk kam. Offenbar war die Keimzelle für Punk in Westdeutschland doch nicht so homogen wie gerne behauptet. Richtig ist allerdings der Hinweis, dass die reißerischen Berichte der Presse auch das Publikum, das sich für Punk interessierte, veränderte. Ob die feindlich gesonnene Presse und ihre falschen Zuschreibungen/Klischees möglicherweise Ursache für dieses Schisma waren?


Zu den späteren Kapitel kann ich nicht viel sagen, da das nicht mehr meine Welt war.

Zum Essay-Teil 3 Anmerkungen:

Auch Ivy Pop reflektiert über die Entstehung von Punk, ohne an irgendeiner Stelle zu erklären, warum Punk von England und New York so massiv und dauerhaft nach Deutschland übersprang im Gegensatz zu manchem anderen europäischen Land. "No Future" war ja auch eher eine deutsche als eine englische Parole. Zwar zitiert sie Diedrich Diedrichsen und seinen Verweis auf die Beziehung von 1968 zu 1977, was richtig ist, denn 1968 war für Westdeutschland (und Frankreich) einschneidender als z.B. für England, aber der Verweis bleibt im luftleeren Raum hängen. Interessant ist dagegen der Hinweis auf Punk als Kultur des Scheiterns. Auch Eric T. Hansen sieht in "Planet Germany" die Figur des scheiternden Helden (Siegfried, Winnetou) als ein typisch deutsches Kulturprodukt. (Vielleicht erklärt das ja auch das anhaltende Interesse der Deutsche an Hitler? Ups, das war jetzt aber böse.) Und vielleicht könnte man in diesem Zusammenhang ja auch das brillante Werk "Die heiligen Narren" von Thomas Lau erwähnen, weil der Narr ja keine Erfolgsfigur ist, allerdings einer der an seinem Scheitern nicht leidet, doch Leid ist ja auch etwas, was der Deutschpunk zum persönlichen Selbstverständnis braucht.



The Meia beschreibt sehr persönlich seine Entwicklung zum Punk in der deutschen Provinz und fängt treffend das soziale Klima in der damaligen BRD ein, blendet aber notwendigerweise die ganze wirkliche Pionier-Generation aus. Insofern bleibt Jürgen Teipels "Verschwende Deine Jugend" unverzichtbar.

Jan Sobe fasst Punk in GDR ganz gut zusammen, sowie ich das als Leser anderer Bücher zu dem Thema beurteilen kann. Ob das alles so richtig ist mögen jedoch die Betroffenen selbst beurteilen.

Insgesamt kein Buch, dass man im Regal stehen haben muss.

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