23.12.16

Was soll der Hype um die Beatles?

In der Serie "Hass auf Kunst" wirft Julian Dörr den Beatles 36 Jahre nach ihrem Ende vor, wenig makellose Alben und viele nervtötende Songs produziert zu haben. Dazu einige Anmerkungen:
Bach, Mozart, Beatles. Wenn es um die wichtigsten und einflussreichsten Künstler der Musikgeschichte geht, dann ist immer auch die Rede von vier Arbeiterjungs aus Liverpool: John, Paul, Ringo und George. Der Formatradio-Konsens: Die Beatles haben den modernen Pop erfunden und damit die Welt, so wie wir sie kennen. Mindestens. Alles Quatsch! Wenn überhaupt, kam der Pop aus einem Studio in Memphis gekrochen. Aber zurück zu der Band, die ganz sicher nicht die beste Band der Welt ist.
Okay, Julian Dörr wirft schon am Anfang alles durcheinander und vergleicht Äpfel mit Birnen mit Bauklötzen mit Glühbirnen. Erstens ist "wichtiger Künstler" eine sehr schwammige Kategorie, während einflussreich eher messbar ist, aber eigentlich nichts über musikalische Qualität sagt. Ob Elvis oder die Beatles die Erfinder des Pop sind hängt jedenfalls von der Definition des Begriffs Pop ab. Gehen wir mal davon aus, dass Pop von populär kommt, dann war Elvis nicht oder nur sehr begrenzt populär, weil die Erwachsenen mochten ihn überhaupt nicht. Den Crossover in die Erwachsenenwelt und andere Kulturen haben eher die Beatles geschafft als Elvis. Der hat das später nachgeholt, aber da waren die Beatles ja schon größer als Jesus Christus, ob sie das nun wollten oder nicht. Schließlich die "beste Band der Welt": auch hier sind die Kriterien absolut schwammig. Bono Vox sagt(e) ja, R.E.M. seien die beste Band der Welt (gewesen), aber U2 die Größte. Dabei heißt es doch "De gustibus non est disputandum", weil es eben keinen objektiven Maßstab gibt.
Wer braucht schon die Beatles, wenn er die Kinks oder die Beach Boys hat? Britischer als "The Village Green Preservation Society" und schöner als "Pet Sounds" wurde Pop nicht mehr.
Das ist natürlich mehr als unfair, aus dem Gesamtwerk der Beatles einen Durchschnitt zu bilden und den dann einem einzelnen Album der Kinks, bzw. der Beach Boys gegenüber zu stellen. Als ob diese Kapellen keine Gurken in ihrem Repertoire hätten. Und was soll der Vorwurf, die Beatles wären zu wenig britisch im Vergleich zu den Kinks. Wollten Lennon und McCartney überhaupt "britisch" klingen? George Harrison wollte es sicher nicht, sonst wäre er nicht zu Ravi Shankar in die Lehre gegangen. Apropos "britishness", schon mal was von XTC gehört? Übrigens wenn Pop von populär kommt, dann war "Pet Sounds" das Gegenteil davon, nämlich ein kommerzieller Flop.
Und wer jetzt davon schwärmt, wie revolutionär und innovativ die Beatles waren, der höre sich bitte die Kunstfälschung "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" an: Sitargedudel und Selbstüberschätzung.
Ja, "Sgt. Pepper" ist ein Werk, bei dem ich mich nicht entscheiden kann, ob ich es mag oder nicht. Was aber nichts daran ändert, dass es in produktionstechnischer Hinsicht revolutionär und innovativ war. Musikalisch trifft das zudem auf das Vorgängeralbum "Revolver" zu, das ja erst Brian Wilson zu "Pet Sounds" anspornte. Und was das "Sitargedudel" betrifft, gibt es eine Kapelle, die das besser gemacht hat? Oder mag Julian Dörr das Instrument einfach nicht? Übrigens kommt die Sitar ja nur auf einem Stück auf der LP vor, ist also nicht stilprägend für "Sgt. Pepper".
Womit wir beim größten Problem der größten Band aller Zeiten wären: Die FabFour haben es in ihrem angeblich so wichtigen Mittel- bis Spätwerk nicht geschafft, auch nur ein einziges makelloses Album zu veröffentlichen. Stattdessen produzierten sie einige der nervtötendsten Songs der Musikgeschichte.
Schlimmer als "Schnappi das kleine Krokodil", "Dance little bird" und "Hotel California"? Oder um bei den bereits eingeführten Beach Boys zu bleiben: "Barbara Ann" kann auch ganz schön nerven. Und wieso unterschlägt Julian Dörr das Frühwerk und seinen Höhepunkt "A Hard Days Night"?
Beweise? Bitteschön. Das legendäre Weiße Album? In einer gerechten Welt müsste sich Paul McCartney für "Ob-La-Di, Ob-La-Da" wegen Folters verantworten. Oder für "Wild Honey Pie". Oder für "HelterSkelter" - die Grundlage für Charles Mansons wirre Rassenkriegsfantasien.
So so, Paul McCartney ist also an Charles Manson schuld. Auf "Wild honey pie" singt übrigens Yoko Ono mit, ist also ein John Lennon-Song.
Aber das kann man Paul jetzt wirklich nicht vorwerfen. All die debilen Kinderreime, die musikalischen Vorschulexperimente und das pfauenstolze Rumgeeiere schon. Paul McCartney, Songwriter aus der Hölle.
Aha, so läuft der Hase, Julian Dörr hält John Lennon für den besseren Songschreiber, dabei hat der doch die Schlussschnulze "Good Night" vom Weißen Album verbrochen. Und das "musikalische Vorschulexperiment" "Revolution No. 9" stammt eben nicht von Paul McCartney. Ebenso nicht der Kifferschrott "What's The New Mary Jane". Und "Electronic Dreams" ist eine ganze LP mit Synthesizertestgedüdel von George Harrison, auf dem er "pfauenstolz" demonstriert, was er sich als reicher Musiker so alles erlauben kann, verziert zudem mit krakeligen Kindermalereien.
Nicht alles war schlecht an den Beatles, es gab sie, die Sympathieträger, die Männer im Schatten. George Harrison, der zweifellos beste Songschreiber der Band.
Das ist eine sehr steile These. Nichts gegen "Here Comes the Sun", aber dass "You Know What to Do" besser sein soll als die gesamte "A Hard Days Night"-LP möchte ich doch bezweifeln.
Und Ringo Starr. Langnasen-Ringo, Spätstarter-Ringo, Kinderlied-Ringo ("Yellow Submarine", "Octopus Garden" - noch Fragen?). Schlagzeuger-Ringo, über den ein britischer Komiker einmal witzelte, er sei nicht einmal der beste Schlagzeuger der Beatles. Ringo, dem man wünscht, er möge so lange weitertrommeln, bis er endlich der letzte lebende Beatle sei. Die Pointe hätte er sich verdient.
Dummerweise ist Ringo Starr doch der bessere Schlagzeuger als Paul McCartney, wie sich an "The ballad of John and Yoko" leicht nachhören lässt. Leider wird sein fantasiereiches Schlagzeugspiel wie z.B. auf der "Revolver"-LP gerne überhört, weil er sich nicht wie Ginger Baker in den Vordergrund gedrängt hat. Wobei ich behaupten möchte, dass die Schlagzeuger der 1960er Jahre wie auch z.B. Mitch Mitchell von der Jimi Hendrix Experience innovativer waren als alles was danach kam, weil ihre Vorbilder noch aus der Jazzwelt kamen.
Ach ja, von wegen Pointe: Das mit Abstand beste, weil makelloseste Beatles-Album ist übrigens "All Things Must Pass". Und das ist ein Solo-Album von George Harrison.
Makellos? Die dritte LP der Box ist mit ihrem Session-Gedudel überflüssig statt makellos.Die anderen beiden LPs sind trotz angesammelter Songs aus mehreren Jahren nur von eher durchwachsenen Songqualität, zudem ist "Isn't It A Pity" überflüssigerweise gleich doppelt vertreten. Makellos ist dagegen die "A Hard Days Night"-LP, zudem die einzige nur mit Lennon/McCartney-Songs. Aber die klingt nicht nach 70er Jahre-Soft Rock, wie er offenbar von Julian Dörr bevorzugt wird. Ich würde auf jeden Fall mit "Band On The Run" von Paul McCartney and Wings dagegen halten, wenn schon Beatles- und Solo-LPs in einen Topf geworfen werden. Und noch mehr als beim "Weißen Album" gilt für "All Things Must Pass", dass eine einzelne LP mit den stärksten Titeln besser gewesen wäre, obwohl sie dann immer noch nicht die musikalische Bandbreite des "Weißen Albums" aufweisen würde.

Was nur ein weiterer Beleg dafür ist, dass Julian Dörr einfach nur einen zeilenschindenden Rant produzieren wollte ohne sich ernsthaft in das Thema "wichtigste/beste/einflussreichste Band der Welt" zu vertiefen, denn er liefert keine Kriterien dafür, woran er das messen will, geschweige denn dass er eine Band oder einen Musiker nennt, die/der wichtiger/besser/einflussreicher sein sollen - bei einem Werk von 12 LPs in 8 Jahren, nicht mitgezählt "Magical Mystery Tour" und "Yellow Submarine" und die Singles-Titel, die auf keiner regulären LP zu finden sind. Doch ohne Maßstab ist das alles nur Wortgeklingel eines angeblichen "Musikjournalisten" unter Schülerzeitungsniveau.

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